Lebensgefährliche Abenteuerstrecke zwischen Vilcabamba und Zumba

30.03.

 

Und das ich von MotorradfahrerInnen auf dieser Strecke noch nichts gehört habe, soll sich als mehr als berechtig herausstellen, denn wer ein echtes Abenteuer erleben will und dabei eigentlich auch noch Angst um sein Leben haben möchte, sollte diese Strecke ausprobieren:

 

Noch am frühen Morgen verabschiede ich mich von Raik von der Hosteria Izhcayluma in Ecuador, der wirklich davon überzeugt ist, dass ich auf der Strecke bis Zumba kurz vor der Grenze zu Peru nun überhaupt keine Probleme bekommen werde. Zeit soll ich mir nehmen, deshalb fahre ich um 8 Uhr bereits los. Flussüberquerungen und richtig schlechte Straßen soll es da garnicht geben: „Das haben schon andere vor Dir geschafft!“

Die ersten 30 km sind auch wirklich kein Problem. Gestern hat es nicht geregnet und so ist alles sogar noch besser als beim vorgestrigen Abfahren. Danach fängt es an zu regnen. Auch nicht so schlimm, ich habe ja meinen Regenanzug bereit und mache noch schnell ein Foto vom Regenbogen.

Die neugebaute Straße existiert nicht mehr , dafür ist sie breit und festgefahren, durch den Regen natürlich etwas schlammig. Und da ich ja weiß, dass die Strecke sechs Stunden mit dem Bus braucht, mache ich erst wieder nach mehr als einer Stunde ein Foto und lande wenige Sekunden danach an einem über die Straße laufenden breiten Fluss, den es eigentlich nicht geben sollte. Ich schaue mir die Situation an und gehe zu Fuß den Fluß ab. Möglich, aber nicht mit meinem schweren Gepäck zu schaffen. Eine einzige Flussüberquerung nach über einer Stunde Fahrt oder zurück fahren und morgen weiter. Ich rödele alles ab und bringe das Motorrad über den Fluß. Hole meine zwei Koffer anschließend rüber und

bekomme die Tasche von Peter und Chaterine gebracht. Sie hatten noch beim gemeinsamen Abendessen die längere Strecke zurück über Loja präferiert und haben sich dann beim Frühstück umentschieden. Haben bestimmt gedacht, was die Doris mit dem Motorrad fährt, schaffen wir mit dem Auto auch. Ich mache beim Aufladen noch den Scherz, dass die nächsten Flussquerungen bestimmt noch kommen.

Ich treffe sie noch an mindestens zwei weiteren fast unpassierbaren Stellen, an denen sie einfach auf mich warten und seelischen und praktischen Beistand leisten. Ich verabschiede sie mit den Worten: „Jetzt hoffe ich aber, dass es vorbei ist und ich Euch nicht mehr halten sehe!“ Die beiden wollen heute eigentlich noch nach Chachapapoyas/Peru und jetzt wenigsten noch bis kurz hinter die Grenze nach San Ignacio.

Die „Straße“ wird jetzt immer schlammiger. Mittlerweile habe ich mich auch daran gewöhnt und bin fast stolz, dass ich durch den Schlamm so gut durchkomme. Nach 100 Kilometern, ungefährt der Hälfte der Strecke mache ich halt, um kurz etwas zu trinken und schalte mein Navi ein, um zu sehen wie viel Zeit ich gebraucht habe: fünf Stunden.

Mir geht bereits die ein oder andere Alternative durch den Kopf, falls die andere Hälfte der Strecke auch so abenteuerlich sein sollte bzw. ich nicht mehr weiterkomme. Und dann passiert es. Schon von weitem sehe ich, dass die Straße an einem Hang entlang führt, der von 500 Höhenmeter über die Straße hinweg abgerutscht scheint. Kenne ich aus Kolumbien noch und will so schnell wie möglich daran vorbeikommen. Die Straße sieht zwar sehr matschig aus, aber das war vorher ja auch schon so. Nur in diesem Fall ist wohl gerade noch in der letzen halbe Stunde Sandschlamm herunter gekommen und wie viel oder wie tief er ist kann man leider nicht erkennen. Ist eben ein Schlamm- und kein Wasserloch. Peter und Chaterine stehen nicht da, also sind sie durchgekommen. Ich komme nicht mehr durch. Mein Motorrad bleibt bis zur halben Höhe im Schlamm stecken. Es geht aus. Mit beiden Beinen bis zu den Knien in Schlamm bekomme ich es wieder an. Und es geht wieder aus. Nichts mehr zu machen. 100 Meter hinter mir läugt eine Muräne den Berg hinab über die Straße und fällt in die Tiefe.

Jetzt heißt es reagieren, damit mein Motorrad nicht  ganz im Schlamm versinkt. Es ist zu schwer und bleibt so wie es ist im Schlamme stehen. Entscheide dann, runter mit den Sachen und zuerst die Wichtigen wegbringen und zwar zu der Seite des noch abrutschenden Berges, die sicherer ist. Also zurück. Ich versinke bis zu den Knien im Schlamm und habe selber Schwierigkeiten raus zu kommen. Auf dem Rückweg zum Motorrad nehme ich mein Messer mit zum Durchschneiden der Seitenbänder, damit es schneller geht, denn neben mir auf 50 Höhenmetern rutschen ganze Steinmassen ab und suchen ihren Weg wie ein Fluß ins Tal. Kann alle meine Sachen in Sicherheit bringen und denke schon über den nächsten Schritt nach.

 

Gegenüber in 100 Metern Entferung hat mittlerweile ein Kleinlaster und dahinter ein großer LKW geparkt. Die werden unruhig, hupen. Ich hole mein Seil aus dem Koffer, dass ich eigentlich gekauft hatte um in Alaska Essbares wegen der dortigen Bären in den Baum hängen zu können. Binde es um meinen Lenker und gehe irgendwie durch den Schlamm Richtung großer LKW. Der kommt tatsächlich so weit es geht herangefahren und ich befestige das Seil an der Frontabschleppeinrichtung. Das Seil hält, nur leider kann ich das Motorrad gegen den schwerden Schlamm nicht halte und es kippt zur Seite um in den tiefen Schlamm. Nichts zu machen, die zwei LKWfahrer haben keine Gummistiefel dabei und wollen mir beim Aufrichten nicht helfen, feuern mich aber an. Nach zwei weiteren vergeblichen Versuchen, bin ich völlig atemlos und nichts geht mehr. Mein Motorrad scheint verloren. Da kommt ein Mann mit Gummistiefeln um die Ecke des LKW und wir können zu zweit das Motorrad gegen den Erdschlamm aufrichten und mit Hilfe des LKW an das andere Ende bringen. Motorrad gerettet, aber ob es wohl noch läuft? Mein Helfer will sofort den Schlüssel haben, der ist aber auf der anderen Seite im Tankrucksack geblieben. Also laufe ich an der Bergseite, weil ich mich dort vermeintlich sicherer fühle, durch die 200 Meter langen und tiefen Schlammmassen und hole ihn. Beim ersten Startversuch sagt es keinen Ton, obwohl das Licht an geht. Habe ich mir eigentlich auch schon gedacht. Gott sein Dank, beim zweiten Versuch klappt es und er fährt es ein Stückchen weiter in Sicherheit hinter den nächsten nicht rutschenden Wall. Gott bin ich froh. Es läuft und ich lasse es laufen. Der große Baustellen-Lkw schafft es mit eigener Hilfe gerade so zur anderen Seite zu gelangen und grüßt im Vorbeifahren noch kurz. Ich hole noch meinen Tankrucksack mit Navi drin und meinen Helm von der andere Seite. Dieses Mal entlang der Talseite, weil mir die einheimischen Helfer klar machen, dass das sicherer ist und bin dann so fertig, dass ich echt überlege, die Koffer stehen zu lassen.

 

Mittlerweile sind weitere Autos und Kleinlastwagen von beiden Seiten dazu gekommen. Keiner traut sich da mehr rüber. Nach einer Weile bietet sich ein zweiter Helfer an, mit mir die Koffer zu holen. Als wir gerade losgehen, kommt eine Lawine an großen Steinen, die in den Bilder noch zu erkennen sind, heruntergerollt und wir rennen, so weit das überhaupt möglich ist, zur sicheren Seite zurück. Und da auch noch der seitliche Hang auf unserer Seite Steine abwirft, setzen alle Autos nochmal 100 Meter zurück und bringen mein laufendes Motorrad in eine weiter vermeintliche Sicherheitszone. Unglaublich, jeder dieser Steine, würde er jemanden treffen, wäre tödlich. Alle haben Angst, dass ein Teil des gesamten Berges abbrechen und herunterkommen könnte. Wie verharren wie in Todesstarre bestimmt 20 Minuten ohne ein Wort. 

 

Nachdem dieser Spuk vorüber scheint, machen sich mein Kofferhelfer und ich erneut auf den Weg, den Blick nicht lassend vom Hang aufwärts zum Berg schauend, ob weitere Steine kommen. Wir schaffen es auf die andere Seite, packen uns die zwei Koffer und ohne zu zögern schnell wieder zurück auf der Seite, die in den Abgrund führt, weil sie wegen des Steinfalls sicherer ist. Die Koffer sind schwer , die Luft ist dünn und ich kann nicht mehr, bleibe aber nicht stehen, weil sonst mein Helfer auch noch in längerer Lebensgefahr ist. Mir geht durch den Kopf, dass heute mein letztes Stündlein schlagen könnte, dann aber bitte nicht für denjenigen, der mir gerade hilft. Also gehe ich weiter, auch wenn ich gerade das Gefühl habe ich bekomme keine Luft mehr. In einigermaßen sicheren Gefilden auf der anderen Seite setze ich ab. Nichts, aber auch wirklich nichts geht mehr. Erst alle Koffer vom Motorrad abnehmen, dann es am Lkw befestigen und mehrmals gegen Erdmassen zu retten versuchen, mit Hilfe aus dem Schlamm befreien, das Wichtigste an Taschen auf die andere Seite holen und jetzt auch noch die Koffer holen, gibt mir den Rest. Mir ist schwindelig und ich bin völlig außer Kräften. Da wundere ich mich über die Frage eines Helfers, ob ich irgendwas gebrochen habe. Überlege kurz und weiß, habe ich nicht. Etwas Gutes.

Ein Auto mit Vierradantrieb versucht sich durch den Schlamm zu arbeiten. Wir gehen alle hin, weil es wohl keiner fassen kann, dass es doch jemand versucht. Das Auto bleibt stecken, so wie ich zuvor und ich gehe und befestige mein Gepäck, weil mir beim Zugucken echt Angst und Bange wird. Unterhalte mich kurz noch mit meinen Helfern und frage nach der noch zu fahrenden Zeit nach Zumba: 1,5 Stunden. Ich willl noch vor dem Dunkeln ankommen, wenn es eben geht. Biete meinen beiden Helfer Dollar als Dank an, aber die lehnen beide unabhängig voneinander danken ab und einer meint, ich solle mir davon heute Abend in Zumba ein Hotel nehmen und etwas zu essen kaufen. Mache ich, heil froh in Zumba zu sein, auch wenn mein Lenkradschloss nach der Motorradwäsche, jetzt nicht mehr aufgehen will und das Anspringen zunehmend Probleme bereitet. Immerhin habe ich mein Motorrad gerettet und irgendwie wird es weiter gehen. Auch wenn ich ernsthaft darüber nachdenke, welche Möglichleiten ich habe zurück nach Quito zu kommen und heim zu fliegen. Die einzige Straße zurück, ist gerade nicht möglich.

Und wer jetzt noch die ganzen Details erfahren möchte, der muss mich zum Interview einladen! Das war bestimmt schon spannend und es gibt sicher mehr zu berichten, z. B. wie ich mich dabei gefühlt habe und ob ich nochmal diese Strecke nehmen würde.

31.03.

 

Einen Tag Ruhe in der kleinen verschlafenen Stadt Zumba, im Hinterland von Ecuador an der Grenze zu Peru, gönne ich mir und dem Motorrad, das überhaupt nicht mehr anspringen will. Ein Mechaniker aus dem Ort hat mir bereits gestern geholfen, das Lenkradschloss wieder auf zu bekommen. Ich habe das Motorrad danach nie mehr abgeschlossen, sondern mit einem Spezialschloss gesichert, um weiter zu können. Heute ist der Mechaniker aber leider nicht mehr im Dorf, ich müsse bis Sonntag warten und soll um 8 Uhr morgens kommen. Am Sonntag? Ob das wohl klappt. Ich schaue mir Zumba an. Ein sehr armes Dorf mit zwei einfachen Hotels, kleinen Läden und Restaurants mit einfachem, leckerem und sehr preiswertem Essen: eine Suppe mit Fleischeinlage, Reis mit Hühnchen und Plantana plus Getränk kosten zusammen 2 USD = ca. 1,50 €.

Viele neue Häuser sind im Bau und von dem Busterminal aus kann man Zumba leicht über die ca. 1 km lange Straße erreichen. Gringos sehe ich hier aber keine. Um so besser. Die Menschen sind freundlich und distanziert. Auf Nachfragen bekomme ich immer eine Antwort. Meine Geschichte über den Erdrutsch interessiert nicht wirklich jemand. Hier lebt man mit solchen Ereignissen und findet wohl nichts Besonderes daran, solange keiner dabei um kommt.

Ein längerer Anruf über Skype aus dem hiesigen Internetcafe mit meiner Schwester und Jürgen, die zusammen schon vor vielen Jahren eine Motorradreise durch Indien gemacht haben, ergibt, dass wahrscheinlich der viele Regen und die Nässe Korrosionsschäden hinterlassen haben und hoffentlich nicht meine Gelbatterie schwach ist, für die es hier kein Ladegerät gibt, sondern einfach die Kontakte korrodiert sind. Ich soll die Kontakte mit meinem Fön trocknen und mit WD 40 ölen. Beides habe ich dabei, aber lasse lieber die Äquatorsonne für mich arbeiten, öle vor allem den Starter gut und verpacke die Lenker in grünen Abfallbeuteln, damit der regelmäßige starke nächtliche Regen keinen weiteren Schaden anrichten kann. Ein vor meinem Motorrad geparkter Esel findet das wohl gut und nimmt Kontakt mit meinem Esel mit den grünen Ohren auf, bis er von einer armen Frau weiter gezogen wird.

Ich gehe noch zur hiesigen Kirche und angegliederten Schule. Setze mich eine ganze Weile auf eine Bank und beobachte an diesem Samstag, die zur Schule strömenden Familien mit ihren Kinder, die alle etwas zu essen mitbringen und anschließend eine kleine Feier veranstalten. Nach dem Mittagessen schone ich mich, denn ich habe von der gestrigen Überanstrenung fast überall Muskelkater und dadurch leichte Kopfschmerzen.

Morgen geht es weiter nach Peru. Was ich noch nicht weiß, die Strecke soll noch mal fast genau so schlimm werden wie bis hier her.

 

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